In meiner Auseinandersetzung mit dem Thema Armut hat mich vor allem folgendes mich berührt und wütend gemacht hat:
Die Berichte von Armutsbetroffenen darüber, was ihnen an meisten fehlt, an Deckung ihrer Grundbedürfnissen, an Möglichkeiten zu sozialer Teilhabe und einfach an Dingen und Aktivitäten, die das Leben schöner machen. (Worauf müsste ich verzichten, wenn das Geld nicht mehr reicht; was kann ich mir im Gegensatz zu vielen anderen leisten?)
Die Scham, mit der viele Armutsbetroffene leben, weil sie soziale Benachteiligung erfahren, in einer Gesellschaft, in der der Mythos "Wer arm ist, ist selbst schuld" verbreitet ist; er stimmt nachweislich nicht: die Ursache von Armut ist meist strukturell und nicht das individuelle Versagen der Betroffenen. (Wieso schämen sich die Betroffenen, die keine Schuld trifft, und nicht diejenigen, die die Verantwortung dafür tragen, die die Macht hätten, etwas daran zu ändern?)
Die Tatsache, dass Armut jede:n treffen kann. Für mich persönlich denke ich, ich bin priviligiert und habe das Glück, das ich bisher arbeitsfähig und nicht auf Sozialhilfe angewiesen bin. Wer in Österreich nicht arbeiten kann – meist aus gesundheitlichen Gründen, Pflege von kranken Kindern oder Angehörigen oder weil einfach keine Arbeit zu finden ist –, rutscht schnell in die Armut. Derzeit sind rund die Hälfte aller Sozialhilfe-Empfänger:innen von Armut bedroht. In einem der reichsten Länder der Welt ist jede sechste Person von Armut betroffen.
TEXT KÖNNTE AUCH IN 3. PERSON GESCHRIEBEN SEIN:
In ihrer fotografischen Auseinandersetzung mit Armut in Österreich geht es Hannah Mayr um die Frage, was Armut für betroffene Menschen konkret bedeutet. Ausgangspunkt der Arbeit sind Berichte und Social-media-Beiträge von Armutsbetroffenen darüber, woran es ihnen am meisten fehlt, an Deckung ihrer Grundbedürfnissen, an Möglichkeiten zu sozialer Teilhabe und einfach an Dingen und Aktivitäten, die das Leben schöner machen. Diese Berichte und die Frage, worauf sie selbst verzichten müsste, wenn das Geld nicht mehr reicht bzw. was sie sich derzeit noch leisten kann, sind Ausgangspunkt für nüchterne Selbstporträts. Zudem geht es in den Fotografien um die Scham, die viele Armutsbetroffene empfinden (... usw. noch nicht fertig ausformuliert).
Was fehlt #1
(Firmen-Wichtelgeschenk, im Wert von 5 Euro)
Was fehlt #2
(Handyguthaben, 15 Euro)
Was fehlt #3
(Heizkosten, um 50 % gestiegen)
Was fehlt #4
(Sportkurs, 129 Euro)
Was fehlt #5
(Blumenstrauß, 4.99 Euro)
Ohne Titel #6
Ohne Titel #6
Ohne Titel #6
Ohne Titel #6
Wenn ich gefragt werde, was das Leben in Armut mit der Familie macht, fällt mir als Erstes ein: Die Kinder äußern keine Wünsche mehr.
Doch bis man die Beschämung selbst glaubt und übernimmt, vergeht noch einige Zeit, in der man an seinem alten Leben festhält und versucht mitzuhalten. Zumindest den Anschein zu wahren, man würde mithalten können.
An diesem Tag habe ich meine Kamera auf eine Onlineplattform gestellt. Sie war innerhalb einer Stunde verkauft. Am Abend kam der Käufer vorbei, bezahlte bar, und weg war sie. Der Strom wurde nicht abgedreht, aber mein Lebenselixier war weg.
Irgendwann vermeidest du sogar Elternabende. Weil du "die paar Euro kann doch jede ansparen, wenn man sich nur genug bemüht" nicht mehr hören kannst, aber auch nicht den Mut und die Kraft hast, dem etwas entgegenzusetzen. Vor allem dann nicht, wenn du in dem Denken drinnen bist, nur du schaffst das nicht. Nur du bist die Versagerin.
Niemand möchte wahrhaben, nun in der Armut angekommen zu sein. (...) Du versuchst bei Dingen wie einem Friseur- oder dem Saunabesuch einzusparen, verzichtest auf neue Kleidung.